zum Konzert im HAU, Berlin am 30.11.2010
mit Hans Unstern

Schöne Verliererin:
Christiane Rösinger im HAU
( Tagesspiegel 01.12.2010 von Christian Schröder)

So verfroren, so verschnupft, so verzagt, so verzittert sind die Berliner Mantelmenschen im Hebbel am Ufer zusammengekommen, doch wenn sie gehofft haben, sich im holzvertäfelten Theatertempelchen an einem Liederabend wärmen zu können, während draußen die Luft im kältesten Dezemberauftakt seit Beginn der Wetteraufzeichnungen knackt, ist dies doch nur: vergeblich. In der Bühnenmitte steht eine Sängerin und entwirft aus lauter Worten mit der Vorsilbe Ver- ein Elendspanorama des menschlichen Daseins: „So verlogen und verschroben, so verhaltensgestört, so verquer und verquollen, so verbiestert und verbissen, so verbittert und verknittert.“ Schön ist, als Reim auf „verwundet“, der Neologismus „verhundet“. Die Worte werden lauter, Gitarre und Schlagzeug schrauben sich ins Stakkatohafte, dann tritt ein sehr bärtiger junger Mann hinzu und beendet mit einer dylanartig lärmenden Mundharmonika-Einlage das Lamento. Nicht verkehrt. Christiane Rösinger präsentiert im seit Wochen ausverkauften Saal ihr Album „Songs of L. and Hate“, und die dazu passende Farbe ist Schwarz, das Schwarz des Weltschmerzes und der Existenzialisten. Die Berliner Sängerin und ihre Begleiter, zu zwei Dritteln aus der Wiener Band Ja, Panik bestehend, sind komplett schwarz gekleidet, sie stehen vor einem schwarzen Vorhang, selbst die Bassdrum wurde schwarz verkleidet. „Bist du einmal traurig und allein / Gewöhn dich dran, es wird bald immer so sein“, lauten die ersten Liedzeilen, begleitet von rollenden Mollakkorden aus Klavier und Gitarre. „Es geht sich nicht aus“, „Desillusion“, „Verloren“ oder „Sinnlos“ heißen die Songs, die vom Scheitern, Kapitulieren und Verlassenwerden handeln, vor allem aber von der Traurigkeit als einem der intensivsten und schönsten Gefühle. Bevor Rösinger „Mein zukünftiger Exfreund“ singt, den Hit ihrer alten Band Lassie Singers, entschuldigt sie sich, das Liebeslied habe sie vor 18 Jahren geschrieben, als sie „jünger und dümmer“ gewesen sei. „So am Ende war ich noch nie, das ist die melancholische Hypochondrie“, klagt sie in der fröhlich schunkelnden Lebensbilanzballade „Es ist so arg“. Am Ende mischt sich in den fußtrampelnden Jubel ein Ruf aus dem Publikum: „Schlimm.“ Ja, es ist arg – und wunderbar.

 

Die wichtigsten CDs der Woche
Spiegel Online, 19.10.2010
( Jan Wigger)

Erste Gedanken beim eiligen Überfliegen der Songtitel: Eine Platte, deren Kompositionen "Es geht sich nicht aus", "Desillusion", "Es ist so arg" oder "Sinnlos" heißen, kann nur in den seltensten Fällen eine Enttäuschung sein. Erste Gedanken beim Blick auf das "Bringing It All Back Home"-Cover von "Songs Of L. And Hate": Zwei Musiker, die sich mit einer schwarzen Katze, einem eichenbraunen Klavier und den Vinyl-Ausgaben von "Paris 1919" und "Die Lassie Singers helfen Dir" fotografieren lassen, haben nichts mit affirmativem Mumpitz am Hut, sondern Geschmack. Zudem gelingt es Britta-Sängerin Christiane Rösinger in der Katastrophenbeschreibung "Berlin" den hinreißenden Begriff "Arschlochkinder" auf einem Tonträger zu verewigen. Weil man nur das hassen kann, was man einmal geliebt hat (oder immer noch liebt), ist das musikalisch nicht sehr repräsentative Stück natürlich vor allem als ambivalente Anstrengung zu verstehen: "Wenn die Öko-Eltern sich zum Brunchen treffen/ Und die Arschlochkinder durch die Cafés kläffen/ Wenn der Service hinkt und nach Babykotze stinkt/ Ja, dann sind wir wieder in Berlin." Andreas Spechtl von Ja, Panik hat "Songs Of L. And Hate" mit spärlichen Mitteln meisterhaft arrangiert und dafür Sorge getragen, dass diese LP eher in eine Reihe mit "Court And Spark" (Joni Mitchell) und Teilen von Nicos "Chelsea Girl" zu stellen ist, als mit den üblichen deutschsprachigen Liedermachereien. Das Deprimierendste, aber auch Erhebendste an den Texten von Christiane Rösinger ist die Abwesenheit von Beschönigungsformeln und Erbauungsfloskeln: Dem Halbsatz "Bist du einmal traurig und allein" lässt sie ein "gewöhn' dich dran, es wird bald immer so sein" folgen und fährt fort: "Und fühlst du den Moment lang sowas wie Glück/ Auch das geht schnell vorbei/ Und es kommt auch nicht zurück." Gerade weil ihre Lieder immer ein bisschen klüger sind als sie selbst, müssen wir uns vor Christiane Rösinger verneigen. Menschen, die wehrlos zugeben können, dass sie ratlos sind, waren eben schon immer am sympathischsten.

 

Alles verranzt, verschissen, verkorkst, vermilbt
Standard, Nov.2010
(von Josefson)

"Songs Of L. And Hate": Christiane Rösinger schreibt Klagelieder zum Mitsingen und Mitleiden

50 Jahre alt wird Christiane Rösinger kommenden Jänner und kann immer noch so authentisch traurig klingen wie ein kleines Mädchen, dem die Eiskugel aus der Tüte auf den Boden geplumpst ist. - Was den Tonfall anbelangt, mind you, nicht die Wortwahl: So verschlissen und verrissen, so verbissen und verschissen / So verschleimt und verkeimt und versport ... Der Song "Verloren" kommt mit nicht mehr als einer Aneinanderreihung von Partizipien, einem einfachen Pianoakkord und in der Steigerungsstufe mit Schlagzeug und Gitarre aus - und, oh, welche Dramatik, kommt dabei doch zustande. Die Mundharmonika am Schluss hätt's gar nicht mehr gebraucht.

Fast sieht es wie ein Familienfoto aus, wenn Rösinger gemeinsam mit einem weiteren Wahlberliner das Cover von Bob Dylans Album "Bringing It All Back Home" aus 1965 nachstellt: Sie gibt den Altmeister selbst, Andreas Spechtl von Ja, Panik wirft sich gekonnt in die Pose der Ehefrau von Dylans damaligem Manager. Nur das herumliegende popkulturelle Verweisgut hat sich etwas aktualisiert - unter anderem ragt im Hintergrund die Debüt-Platte von Rösingers erster Band, den Lassie Singers, ins Bild. Ist auch schon wieder fast 20 Jahre her.

"Aber fragt mich einer: Wie ist dir's zumute? Grad so, als ob das Herz recht angenehm verblutet."

Nach dem Ende der Lassie Singers legte Rösinger einen fliegenden Wechsel zu Britta hin, und spätestens hier wurde es zur Trademark, die schon zuvor oft und gerne geschmähte Liebe nur noch als das L-Wort zu bezeichnen ... daher die logische Abwandlung des (fast) gleichnamigen 1971er Albumtitels von Leonard Cohen. Womit das Zitate-Spiel - trotz Zusammenarbeit mit Spechtl, der derlei Strategien mit seiner Band auf ein neues Level gehoben hat - auch schon wieder vorbei ist. "Songs Of L. And Hate" enthält auch nur eine einzige Coverversion, nämlich Jackson Brownes "These Days", das die meisten unweigerlich mit Nicos dunkler Stimme verbinden werden. In Rösingers ins Deutsche übertragener Version wird der Schwebezustand, in dem sich der Song zu befinden scheint, noch leichter - zugleich schlägt Rösinger damit eine Brücke zu ihrem legendären Lied "Phase" aus Lassie Singers-Zeiten, das bei einem Blutdruck von 15:6 zustande gekommen sein muss.

Rösinger bzw. Britta gebührt auch die Ehre, Ja, Panik schon lange vor dem später einsetzenden Hype Rosen gestreut zu haben - die musikalische Zusammenarbeit mit Spechtl kann daher nicht verwundern. Die Breaks und Tempowechsel in den Songs "Es geht sich nicht aus" und "Es ist so arg" erinnern am stärksten an das, was man von Spechtls Band kennt - und beide, im Bundesdeutschen nicht so übliche, Formulierungen unterstreichen den Einfluss noch einmal. Spechtl spielt Gitarre, Schlagzeug und Klavier und hält sich gesanglich weitgehend im Hintergrund. Das Gstanzl "Berlin" stimmen die beiden aber gemeinsam an: "Wenn die Parkausflügler dann die Schwäne füttern und die Allerblödsten es gleich weitertwittern / Wenn die Ökoeltern sich zum Brunchen treffen und die Arschlochkinder durch die Cafés kläffen / Ja, dann sind wir alle in Berlin ..." Wäre leicht, das beim nächsten Gastspiel in "hier in Wien" umzumodeln, schließlich passt es 1:1.

"Die Midlife-Crisis? Die hatte ich doch schon! Ich warte auf die Altersdepression."

Nur selten geht es ins Uptempo, wie beim Lassie-Singers-Boogie "Haupsache raus"; meistens gibt Rösinger zu sparsamer Instrumentierung die Knef des Prekariats. Während aber Hildegard vor 60 Jahren noch Friedrich Meyers "Illusionen" besang, ist Rösinger schon lange bei der "Desillusion" angekommen. Insbesondere das Stück "Sinnlos" enthält einen derartigen Overkill an Elend, dass man dabei nicht ganz ernst bleiben kann. Klar, Rösinger spielt mit der Traurigkeit und bietet sie als Gemeinsamkeit schaffende (und damit letztlich aufbauende und sogar aufheiternde) Erfahrung an. Dass das durchaus drollig wirken und damit zum Problem werden kann, wenn frau etwas wirklich ernst meint, dürfte Rösinger aber bewusst sein.

... weshalb einige Stücke jenseits aller Liebäugelei liegen: Sei es "Es geht sich nicht aus", die Schimpftirade "Verloren" oder das mit einer sanft gezupften Gitarre und ein wenig Hall auskommende Schlussstück "Kleines Lied zum Abschied". Da wird nicht auf Pointen und Mitsingen geschielt, das ist einfach nur ehrlich: "Und wär es nicht so furchtbar traurig / Ich hätt mich tot gelacht."

 

In den Theatern dieser Welt
Jungle World Nr.42
(von Oliver Koch)

Lakonisch, desillusioniert und schwermütig. Auf ihrer ersten Soloplatte »Songs of L. and Hate« klingt Christiane Rösinger trauriger denn je. Aber sie lässt sich trotzdem niemals unterkriegen.

Es geht um eine romantische Kunstauffassung. Leben als Poesie und Poesie als Leben.« Große Worte sind das von Christiane Rösinger, gelassen ausgesprochen. Am liebsten hätte man in alter Rap-Manier »Word!« gesagt, wenn es nicht so unpassend gewesen wäre. Christiane Rösinger lehnt sich zurück, bläst Zigarettenqualm in den Raum und fährt fort, über die Durchdringung von Kunst und Leben zu reden. »Ach, ich bin noch so eine alte Authentizitätsnudel«, sagt sie irgendwann. Das gibt es doch gar nicht, denkt man da als supercleverer Diskurspopper. Das A-Wort positiv zu wenden, das darf man doch gar nicht machen! Doch damit nicht genug: Es sei natürlich vollkommen unpopulär, aber selbst bei Schriftstellern finde sie am Autobiographischen den größten Gefallen. »Der grüne Heinrich« von Gottfried Keller sei hierfür ein treffendes Beispiel. Einer ihrer Lieblingsromane. Noch dazu ein Roman über Desillusion. Eine Weltsicht, die sich seit gut 20 Jahren leitthematisch durch das ganze Werk Rösingers zieht.

Christiane Rösinger wollte schon immer Sängerin werden. Auch auf dem Acker schon, damals im badischen Hügelsheim. Dort singt die Heldin ihres autobiographischen Romans »Das schöne Leben« zwischen Karotten, macht eine Lehre im Buchhandel, hält es schließlich nicht mehr aus und ergreift die Flucht: »Ich muss hier weg, nach Berlin ziehen, eine Band suchen.« Also gründete Christiane Rösinger Ende der Achtziger, zusammen mit Almut Klotz, die Lassie Singers. Eine Band, die den Protest der Riot Grrrls sehr, sehr catchy klingen ließ. 1997 dann formierte sich die Band Britta, deren bisherige vier Alben auf dem eigenen Label »Flittchen Records« veröffentlicht wurden.

Umso verwunderlicher, dass mit »Songs of L. and Hate« nun ein Soloalbum erscheint, noch dazu nicht auf dem eigenen Label, sondern bei Staatsakt. Endlich freigeschwommen? Auflösungsgerüchte werden dementiert, Rösinger hatte schon seit Jahren geplant, ein Singer-Songwriter-Album zu machen. Das »Prinzip Indie-Rock«, wie sie es nennt, auch mal hinter sich zu lassen. Genau genommen war sie schon als 14jährige von der Tiefe eines Leonard Cohen begeistert, dem auch der Album-Titel entlehnt ist. Für das Arrangement, die Verfeinerung der Stücke, zeigt sich Andreas Spechtl verantwortlich, den Rösinger seit vier Jahren kennt und der bei der Band Ja, Panik singt.

Christiane Rösingers Gesang steht auf diesem sehr traurigen Album deutlicher denn je im Vordergrund. Wobei »traurig« eine viel zu profane Bezeichnung ist. »Ich habe einen großen Hang zur Schwermut«, sagt Rösinger, klingt elegant dabei und zündet sich noch eine Zigarette an. Schwermut sei mit Melancholie gleichzusetzen, dieser Modekrankheit aus dem 19.?Jahrhundert, für die Victor Hugo ein Bonmot bereitgestellt hat: »Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein.« Tatsächlich könne Rösinger das Grübeln und Denken in Endlosschleifen teilweise genießen, wobei die lästige Antriebsschwäche ihr schon häufig zu schaffen mache. Aber zum Glück gibt es ja Ärzte, die in solchen Situationen Wirksames zu verordnen wissen. Gymnastik beispielsweise. Gymnastik? Liebe Ärzte, wie soll das denn gehen, wenn man nicht aus dem Bett kommt? »Songs of L. and Hate« mag streckenweise pessimistisch klingen. Aber es ist dieser eigentümlich zweifelnde Trübsinn, der so faszinierend ist. Weil er nicht die Option liefert, sich an fremdem Leid zu laben, kein wei­teres Erbauungsvehikel liefert. Denn bei aller auf den ersten Blick teilweise vordergründig erscheinenden Privatheit ist Rösingers Pessimismus vor allem einer, der gerade zu dem passt, was draußen so vor sich geht. »So ein desillusionierter Blick auf die Welt ist schon gut«, sagt sie einfach und gerade heraus.

»Ist das noch Boheme oder schon die Unterschicht«, hieß es auf Brittas viertem Album. Der Song traf den Nerv der Zeit, Rösinger wurde zum Dauergast in Diskussionsrunden. Als »Panelproletarier« verdiente sie Geld damit, keines zu haben. Daran hat sich nicht viel geändert, was unter anderem den Labelwechsel motivierte. »Immer musste ich alles selber finanzieren. Das war so anstrengend. Ich konnte einfach nicht mehr.« Außerdem gab es da doch noch dieses verlockende Fernziel. In »Das schöne Leben« gelangt Rösingers Protagonistin schon früh zu der überaus einleuchtenden Schlussfolgerung: »Was will man machen? Eigentlich nie mehr arbeiten!« Spricht da Herman Melvilles Bartleby, der seine Verweigerung stets als nonchalantes »I would prefer not to« äußerte? Rösinger nannte ihren Lifestyle »Leben im Liegen« und sagt, laut lachend, als hätte sie es gerade erst festgestellt: »Weißt du was? Manchmal denke ich, ich habe es tatsächlich geschafft!«

Aber noch sitzt Christiane Rösinger in diesem verlassenen Café, um mittelmäßig einfallsreiche Fragen zu beantworten. Das Lob der Faulheit – nennen wir es einfach mal so – verdeutlicht ihren Bezug zu einem Bohème-Begriff alter Schule. Als Künstlerin hat sie mit den digitalen Ich-AGs und willigen Selbstunternehmern nur wenig gemein. Ideologisch und ästhetisch, wie sie im Song »Berlin«, einem weiteren Zeugnis ihrer Hassliebe zu dieser von geifernden Hostelhorden überrannten Stadt, anschaulich verdeutlicht. Es wird ausgeteilt: »Wenn die Freiberufler die Cafés besetzen und die Laptop-Poser sich aufs Neue vernetzen. Mit den Kreativen und den ganz Naiven, ja dann sind wir wieder in Berlin. Wenn die Öko-Eltern sich zum Brunchen treffen und die Arschloch-Kinder durch die Cafés kläffen?…?« Lässt sich hier eine verständnislose Altersdesillusion herauslesen? Auf keinen Fall. »Die ist nämlich das Allerschlimmste!« so Rösinger. Typen um die 50, die alles scheiße finden und behaupten, alles angeblich Neue sei doch eh schon mal da gewesen. Und überhaupt: die jungen Leute! Nein, Rösinger geht es darum, alles mitzunehmen. Trotz bescheidener Mittel, die ihr zur Verfügung stehen. Dem Ausgeh-Komplex, über die Jahre zu ihrem Thema geworden, hat sie mit »Hauptsache raus« auch auf dem neuen Album einen Song gewidmet: »Doch ich tu’, was ich kann, und ich lass’ mich nicht gehen. Mich wird keiner am Boden sehen!«

Welche Optionen bieten sich Christiane Rösinger jetzt noch, wie soll es weitergehen? Die Frage stelle sich doch nicht ernsthaft, sagt sie. Hm, schade. Der Zug ist also abgefahren. Nein, keinesfalls! Vielmehr müsse sie sich einfach nicht mehr entscheiden, was doch eine wirklich privilegierte Situation sei! Und die Solo-Karriere, wo wird sie enden? Lächelnd sagt sie: »Ach, eigentlich hab’ ich gedacht: in den Theatern dieser Welt!«

 

 

Veröffentlichungen der Woche
Financial Times, 14.11.2010
Anja Rützel

Das sind die schönsten ruinösen Chansons dieses Jahres, wenn nicht Jahrzehnts. Das hat gerade erst angefangen? Egal. Dargeboten werden diese Moritaten aus dem Prekariat von der patent zerwurlten Christiane Rösinger (ehemals Lassie Singers und Britta) und dem angenehm manierierten Andreas Spechtl (Sänger der sehr guten Band Ja, Panik). Zerraufte Lieder über vergebliche Bemühungen und enttäuschte L. - die Liebe ist hier derart vor die Hunde gegangen, dass sie im Albentitel nur noch als Initalkürzel auftreten darf. Enthalten sind ein grandioses Berlin-Schmählied (in dem brunchende Ökoeltern, twitternde Entenfütterer, naive Kreative und Technoleichen gleichermaßen ihr Fett wegbekommen) und wunderbar Klagen mit Titeln wie "Sinnlos", "Verloren" und "Es geht sich nicht aus". Trost, Schmost.
Von Anja Rützel

Platte des Monats
Konkret, Oktober 2010
(Text Sonja Eisamnn)

Immer wieder wird verhalten darauf hingewiesen, daß Christiane Rösinger die wohl beste lebende deutsche Songwriterin sei. Genützt hatihr dieses Lob hinter vorgehaltener Hand bis jetzt wenig. Während anläßlich neuer Platten von Freunden, Kollegen und Weggefährten wieTocotronic, Jochen Distelmeyer oder Jens Friebe dem Feuilleton huldvolle Ahs und Ohs entfahren und auch deren Verkaufszahlen zumeist ordentlich bis gräflich ausfallen, ist es um Rösinger bis jetzt sträflich still geblieben. Und das, obwohl die in Berlin lebende Musikerin, die ihre Fans fast kultisch verehren, dem Szenewörterbuch mit ihren beiden Vorgängerbands Lassie Singers und Britta unzählige Liedzeilen geschenkt hat, die mittlerweile fast idiomatisch geworden sind: »Liebe wird oft überbewertet«, »Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzenScheiß« oder »Ist das noch Boheme oder schon Unterschicht?«.

Anfang der Achtziger, während Altersgenossinnen und -genossen aus begüterten Familien dem slackerigen Studileben frönen konnten, hatte die aus bäuerlichen Verhältnissen in einem Schwarzwalddorf geflüchtete Rösinger ...

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Das Leben als Coverversion
(Maurice Summen)

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich an einem trüben Tag im August 2009 auf meine Mitfahrgelegenheit von Berlin nach Hamburg wartete. Als Treffpunkt war das Cafe "Entweder Oder" in Berlin- Prenzlauer Berg ausgemacht. Dachte ich zumindest. Eines von diesen unter Prenzlauer-Berg-Hassern unbeliebtes, von Touristen sehr gern frequentiertes Café der Marke: "Wie wir Ostdeutschland schick gemacht haben". Ich wartete dort eine geschlagene Stunde auf Christiane Rösinger und Andreas Spechtl, die mich netter Weise auf ihre Fahrt ins Clouds-Hill-Tonstudio nach Hamburg mitnehmen wollten. "Hallo Andreas, ja...Wo sitzt ihr denn? Was? Im Eingangsbereich. Na, ich sitze draußen. Was? Ihr sitzt auch draußen? Komisch... Ich kann Euch weit und breit nicht sehen..." Nach fünf Minuten Orientierungsschlagabtausch am Telefon beschließen wir gegen Ende endlich einmal den Treffpunkt zu überprüfen: "Ich sitze im "Entweder Oder", "Hä? Ich dachte wir treffen uns im "Sowohl als auch"?", "Nein, ich glaube wir hatten "Entweder Oder" gesagt" Die Fahrt nach Hamburg schließlich ist mir nicht weniger wortverspielt und sprachverliebt in Erinnerung: "Wir wollen das Album "Songs Of L. And Hate nennen - in Anlehnung an das "Songs Of Love and Hate"-Album von Leonard Cohen“ „Eine Coverplatte?“ „Nein, keine Coverplatte! Wir wollen einfach nur den Titel übernehmen. Und eben „L.“ statt Love“ "L. statt Love?" "Ja, weil die Liebe so ein abscheuliches Wort ist für eine verachtungswürdige Sache, dass man es lieber gar nicht erst aussprechen sollte...“


"Songs Of L. And Hate"

Ich kann mich nicht daran erinnern, wann jemals durch die Abkürzung eines einzigen Wortes irgendeines allgemein bekannten Popalbumtitels ein neuer Albumtitel entstand: „Harvest M.“, „P. Sounds?“, „Old N.?“ Aber es geht ja noch weiter: Auf dem Cover von "Songs Of L. and Hate" findet sich dazu auch noch eine gelungene Adaption des legendären "Bringin´ it all back home"-Covers des Zitatkönigs Nummer-Eins: Bob Dylan. Auf dem Foto wird der große Bob Dylan von Cate Blanchet gespielt, die nun wiederum von Christiane Rösinger gedoubelt wird - und die rauchende Grazie im roten Kleid wird hier zum reizenden Jüngling im roten Anzug: Andreas Spechtl. Dass in der beschwingten Agit-Poet-Single "Hauptsache Raus" auch noch der Romantiker Heinrich Heine zitiert wird und mit "These Days" die von Jackson Browne für Nico geschriebene Stubenhockerblues-Symphonie so wunderbar herzergreifend ins Deutsche übersetzt wurde, lässt die Popfolkhistorie auf "Songs Of L. And Hate" aus allen Nähten platzen, während die vom Klavier getragenen Songs doch eigentlich eher an das Instrumentarium einer John Cale-Platte erinnern, und Christiane Rösinger nach eigener Aussage doch eigentlich immer eher ein Neil-Young denn Bob-Dylan-Fan war...


Das Leben ist keine Produzentenidee

Dass sich die vielleicht größte, lebende deutsche Poptexterin hier so offensichtlich wie gleichermaßen unterschwellig in den Referenz-Tempel der männlichen Popheiligen begibt, unterstützt von dem kongenialen S.C.U.M.-Pop-Folkloristen Andreas Spechtl von der Gruppe Ja, Panik, der sich für nahezu alle Instrumente und Arrangements verantwortlich zeigt, sollte der männliche Jäger- und Briefmarkenpopper mit den Billy-Regalen voller Dylan-Boxsets und Greil Marcus-Expertisen lieber gleich von Beginn an als den größtmöglichen Glücksfall begreifen. Es geht hier nämlich gleichermaßen um größt-mögliche Respekterweisung wie eben auch darum. der alten Punk-Maxime die Treue zu schwören: „D.I.Y! Do it yourself: No Gods, No Masters!“ Und ohne jetzt - nur weil eine Frau sich auf dieser Platte für die Komposition dieser wundervollen Lieder verantwortlich zeigt gleich auf Genderpopgespräche kommen zu wollen: Zeigen Sie mir in diesem Popkopieland Deutschland doch mal eine erwachsene Songschreiberin jenseits der 40, der es gelungen ist, abseits der männlichen Unterhaltungsindustrie mit ihrem Angestelltenzirkus aus Verlagen, Songschreibern und Produzenten ihre eigene Musik zu veröffentlichen.

Liederzyklus

So erzählt uns Christiane Rösinger auf "Songs Of L. And Hate" Lieder vom eigenen Leid. Von der damit verbundenen Lethargie, von der ewig plagenden Liebe und von dem daraus resultierenden, wundersamen Leben. Auf der Besetzungscouch sitzt ein Leonard, oder ein Lars, oder Liane, oder Lisa, oder welche L´s einem sonst so in diesem lakonischen wie lustvollen Leben so begegnen. "Entweder Oder" meinen Sie? Nein, ich bin mir jetzt ganz sicher: „Sowohl als auch!“ Das ganze Leben spielt sich auf diesem Album ab. Ein abgeschlossener Liederzyklus, von Januar bis Dezember, von Frauen und Männern, Familien und den ewigen Singles, aus dem Westen und aus dem Osten. Wien, Berlin, und ganz bestimmt auch das alte Hamburg... Jedes weggelassene Lied auf diesem Album hätte einen argen Verlust bedeutet: Für das Leben - und die Liebe. Für die Originale, und ihre Diebe...

 

Das Untrost-Album des Jahrzehnts.
See you at the bitter end klang nie schöner.

... auf dem Berliner Label Staatsakt nun wieder mal zu was ganz anderem. Nun mal wieder zu wirklich aufwühlendem Pop und zu tollen Leuten und Ideen. Christiane Rösinger von Britta und einst Flittchen Records sowie den Lassie Singers hier nun also mal solo.

Das Wort „Love“ scheint dabei so verbrannt, dass es nur noch als Kürzel fungieren darf. Hate wird dagegen ausformuliert, genau wie Erschöpfung, Enttäuschung und die gern zu Unrecht geschmähte Bitterkeit. Ein Werk voll charmantem Nihilismus, das bewusst niederdrücken und den Atem nehmen will. Begleitet auf diesem Spaziergang durch das Panoptikum der Verletzungen wird sie von Andreas Spechtl (Ja, Panik). „Desillusion“, „Sinnlos“, „Verloren“, „Es ist so arg“ heißen die Stücke. Am Ende geht sich alles nicht aus, und man ist trotzdem einen großen Schritt weiter. Das Untrost-Album des Jahrzehnts. See you at the bitter end klang nie schöner.

http://www.intro.de






Berlin

>> Berlin Lied - Songtext


Ich muß immer an dich denken

Missy Magazin

Missy 04/10 hatte Christiane Rösinger auf dem Titel und sich damit einen Wusch erfüllt:
"Mit dieser Ausgabe geht ein kleiner Traum von uns in Erfüllung: Endlich Christiane Rösinger auf dem Cover! Während der großartigen Songschreiberin aus Berlin, deren lustig-bissige Zeilen wie „Pärchen, verpisst euch, keiner vermisst euch!“ sich fu¨r immer in unser kollektives Gedächtnis gebrannt haben, mit ihrer fulminanten ersten Soloplatte von anderen Musikmagazinen nur ein Plätzchen in den Rezensionsecken zugedacht wurde, heben wir sie dahin, wo sie schon lange hingehört: auf den Titel."